Auch für Polizei, Innenministerium und Verfassungsschutz gilt: Demo-AnmelderInnendaten sind zu schützen – die Weitergabe ist rechtswidrig!

Pressemitteilung der BürgerInnen beobachten Polizei und Justiz Göttingen vom 19. Juli 2015

Was ist eigentlich passiert?
Mehreren AnmelderInnen von Demonstrationen in Göttingen fiel im Zuge von anwaltlicher Akteneinsicht auf, dass sich darin sehr schwatzhafte „Verlaufsberichte“ aus der Feder der örtliche PolizeibeamtInnen befanden. Darin u.a. enthalten: Name, Adresse und teilweise Telefonnummer der AnmelderInnen sowie eine Auflistung der anwesenden PressevertreterInnen. Der E-Mail-Verteiler dieser „Verlaufsberichte“ war beachtlich: Verschiedene Polizeidienststellen, das Lagezentrum des Innenministeriums und bei einigen sogar der Verfassungsschutz. Neben grundsätzlichen, datenschutzrechtlichen Belangen geht es einer der Klägerinnen auch um Folgendes: „Nehme ich mein Grundrecht auf Demonstration wahr, darf das nicht zur Folge haben, in den Akten als „polizeibekannte Linksaktivistin“ stigmatisiert zu werden“.

Gegen diese gelebte Praxis wurden insgesamt fünf Klagen in den Jahren 2014 und 2015 eingereicht. Alle fünf Klagen hatten nun Erfolg: Die Polizeidirektion Göttingen räumt ein, dass diese Praxis rechtswidrig war. In einem Anerkenntnis aus dem Juni diesen Jahres kündigt die Polizei an, nicht nur die personenbezogenen Daten in den eigenen Akten zu löschen, sondern auch die unrechtmäßigen EmpfängerInnen dazu aufzufordern, es ihnen nachzutun. Allerdings gilt dieses Anerkenntnis nur für die fünf Klagenden; die Zahl der „Dunkelziffer“ weiterer von der inflationären Erstellung und Verteilung von Verlaufsberichten Betroffener ist nicht bekannt.
Der Polizei wurde vermutlich schon vor dem jetzt abgeschlossenen juristischen Nachspiel klar, dass die eigenen Praxis rechtlich nicht ganz sauber war: Seit etwa zwei Jahren tauchten keine personenbezogenen Daten in den „Verlaufsberichten“ mehr auf.

Das ist gut so – aber es reicht für die Aufarbeitung nicht aus.
Es bleiben viele Fragen offen. Allen voran: Wie konnte das überhaupt passieren?

  • Die Namen und Daten der AnmelderInnen, auch von kleinen und völlig friedlichen Demonstrationen, liefen über Dutzende Schreibtische und Bildschirme. Ist denn wirklich niemanden aufgefallen, dass dies einfachsten Grundregeln des Datenschutzes und der Demonstrationsfreiheit zuwider läuft?
  • War diese rechtswidrige Praxis ein Göttinger Sonderfall oder wurden Verlaufsberichte auch in anderen Polizeibezirken mit personenbezogenen Daten der AnmelderInnen an einen weiten E-Mail-Verteiler geschickt?
  • Die Polizei verspricht Datenlöschung – aber wer bürgt dafür, dass der Verfassungsschutz dies auch tut?
  • Welchen Umgang mit Personendaten haben die Verantwortlichen, Niedersachsens Ex-Innenminister Schünemann und Göttingens Ex-Polizeipräsident Kruse, in ihren Dienststellen vorgegeben?
  • Wie ist die Praxis in Herrn Kruses neuem Wirkungskreis, dem Landkreis Lüneburg?
  • Welche Konsequenzen zieht der Datenschutzbeauftragte der Göttinger Polizei, Herr Amlung?
  • Darf erwartet werden, dass die Polizei sämtliche „Verlaufsberichte“ durchkämmt und rechtswidrige personenbezogene Daten nicht nur selbst löscht, sondern auch alle EmpfängerInnen dazu veranlasst?
  • Werden die betroffenen Personen über alle Schritte und überhaupt darüber informiert?

Wir empfehlen AnmelderInnen von Kundgebungen und Demonstrationen, nun selbst tätig zu werden und Akteneinsicht bei „Ihrer“ Polizei zu beantragen, ggf. Verlaufsberichte anzufordern und wenn diese persönliche Daten enthalten ebenfalls auf Löschung zu klagen.