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Hintergrundinformationen zum Thema: Polizei verweigert Dialog

Gemeinsame Pressemitteilung, 24.11.2010
Anlässlich der abgesagten Stellungnahme des Präsidenten der Göttinger Polizeidirektion Robert Kruse in der öffentlichen Sitzung des Göttinger Stadtrats am 5.11.2010

Die Absagen einer Stellungnahme von Polizeipräsident Kruse in der öffentlichen Sitzung des Rates am 5.11. sowie von Göttinger Staatsanwaltschaft und Polizeiführung an den vom Stadtrat beschlossenen Runden Tisch lassen Zweifel an deren Demokratieverständnis aufkommen. Das heutige massive Polizeiaufgebot im Göttinger Rathaus, um die stattdessen anberaumte Sitzung mit den Ratsfraktionen unter Ausschluss der Öffentlichkeit gegen die interessierte Öffentlichkeit abzuschotten, verstärken diese Zweifel nur weiter. Nur durch die kurzfristig einberufene öffentliche Fraktionssitzung der GöLINKE vor der Tür des Ratssaales konnte eine Protestveranstaltung im Rathaus erfolgen. Polizei und Stadtverwaltung wollten die Demonstrierenden draußen stehen lassen. Die Demonstrierenden gaben ihrem Protest verbal, auf Bildern und mit Transparenten Ausdruck.

1. Vorgeschichte von allem ist der Über-Kreuz-Wechsel der Führungsspitzen des niedersächsischen Verfassungsschutzes und der Göttinger Polizei. Diese personelle Verquickung ist rechtlich hoch brisant, denn das Gebot der Trennung von Geheimdienst und Exekutive wurde explizit wegen der leidigen Erfahrungen während der Nazizeit mit der Gestapo in bundesrepublikanisches Recht aufgenommen.
2. Nach dem Brand im Kreishaus machten die Ermittler der Göttinger politischen Polizei in Windeseile das ganz große Fass auf: Terrorverdacht. Über die Medien behaupteten sie und Innenminister Schünemann "eine neue Qualität linksradikaler Militanz", die die Schwelle zu einem neuen Terrorismus erreicht habe.
3. Nach der Razzia in der Roten Straße zerfällt diese abenteuerliche Behauptung nach und nach zu Staub. Die unseriösen und grob fehlerhaften Methoden der Ermittler werfen viele Fragen auf, die im Fokus der Göttinger Öffentlichkeit stehen.
4. Zu dieser Zeit erscheint die Broschüre "Für gesellschaftliches Engagement - gegen Kriminalisierung und politische Justiz" des Göttinger Anti-Repressionsbündnisses, dem über 50 Initiativen, Hochschulgruppen, Gewerkschaften, Parteien, etc. angehören. In dieser Broschüre werden exemplarisch sieben aktuelle Fälle von Kriminalisierung, Verfolgung und politisch motivierten Urteilen gegen politische Akteure in Göttingen dargestellt sowie zehn weitere Fälle aus der jüngeren Vergangenheit.
5. Im Göttinger Stadtrat sind die in der Broschüre dokumentierten Fälle Anlass für eine Diskussion, die am 7. Mai des Jahres zu einem Beschluss der Mehrheit der Fraktionen führt, einen Runden Tisch zum Thema einzurichten. Auch zu den fragwürdigen Ermittlungen zum Kreishaus-Brand hat der Stadtrat Diskussionsbedarf und bittet Polizeipräsident Kruse, diese im Zuge der Ratssitzung am 5.11. zu erläutern.
6. Kruse sagt seinen Auftritt vor dem Stadtrat ab. Göttinger Polizeiführung und Staatsanwaltschaft sind ebenso nicht gewillt, am Runden Tisch teilzunehmen, der somit hinfällig ist.

Bei der heutigen Geheim-Sitzung des Stadtrates erklärte Kruse dann, er verstehe einen Runden Tisch als eine 'Einrichtung aus der damals untergegangenen DDR'‚'der mit den Wahlen zum Parlament seine Legitimation verloren' habe. Aus der Tatsache, dass von der Stuttgarter Landesregierung als letzte Möglichkeit einen rapide anschwellenden gesellschaftlichen Konflikt einzudämmen eiligst eine Schlichtung einberufen wurde, scheint Kruse nichts gelernt zu haben. Ebenso wenig daraus, dass der ehemalige Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei, Konrad Freiberg, öffentlich Widerspruch erhob gegen das Drängen der Polizei "in die Rolle des Erfüllungsgehilfen politischen Machterhalts".

Die Göttinger Staatsanwaltschaft und die Polizeiführung, die dem politischen Inlandsgeheimdienst Verfassungsschutz schon aus personellen Gründen nahe steht, ignorieren den Willen der Mehrheit des Stadtrats, einen öffentlichen Dialog zu führen, der das Ziel der Einhaltung von Bürgerrechten und eines rechtsstaatlichen Umgangs mit politischen Initiativen seitens Politischer Polizei und Justiz haben soll. Die Göttinger Polizeiführung scheut ganz offenkundig die Öffentlichkeit, Polizeipräsident Kruse drückt sich davor, in öffentlicher Sitzung den Fragen der Fraktionen des Stadtrats Rede und Antwort zu stehen. Ein Polizeipräsident, der einen derart großen Bogen um die Öffentlichkeit macht, muss sich dann aber auch die Frage gefallen lassen, inwieweit er sich den demokratischen Grundsätzen verpflichtet fühlt.

Mit diesem Handeln reiht er sich selbst ein in die Riege der bundesweiten Abwehrkämpfer gegen einen immer lauter werdenden Ruf nach mehr Bürgerbeteiligung und -rechten. Er scheint an seiner alten Rolle festzuhalten, die er beim Verfassungsschutz inne hatte, fernab einer öffentlichen Aufmerksamkeit eine rücksichtslose, undemokratische Politik durchzusetzen. In Zeiten, in denen Bürgerinnen und Bürger massenhaft gegen dreiste Klientelpolitik, unverhohlene Korruption und Basta-Politik aufbegehren und Demokratie einfordern, ist ein solcher Vollstrecker unzweifelhaft eine Fehlbesetzung. Die heutigen Proteste waren nur ein kleiner Bestandteil der Kampagne für politisches Engagement und werden in aller Breite weitergeführt werden.


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