Pressemitteilung der „BürgerInnen beobachten Polizei und Justiz“ vom 8.10.2015

Bereits am 24. Juli 2015 fällte das Bundesverfassungsgericht einen heute veröffentlichten Beschluss, mit dem das Engagement für Bürgerrechte bei Demonstrationen gestärkt wird. (Aktenzeichen 1 BvR 2501/13). Dem Gericht zufolge darf die Polizei nicht rein präventiv gegen das Anfertigen von Foto- und Filmaufnahmen ihres Auftretens vorgehen. Dies wäre nur dann erlaubt, wenn „tragfähige Anhaltspunkte“ dafür vorliegen, „dass die Filmaufnahmen der Versammlungsteilnehmer später veröffentlicht werden sollen und nicht anderen Zwecken, etwa der Beweissicherung, dienen.“, teilt das Gericht in seiner Pressemitteilung mit.

Der Beschwerdeführer wehrte sich im konkreten Fall gegen die Feststellung seiner Personalien am Rande einer Demonstration am 22.1.2011 in Göttingen. Er und mehrere weitere Mitglieder der Göttinger Bürgerrechtsgruppe „BürgerInnen beobachten Polizei und Justiz“ richteten damals besonderes Augenmerk auf einen Dokumentationstrupp der Hannoveraner Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit. Dieser hatte die Demonstration nahezu die gesamte Zeit videografiert, ohne dass die rechtlichen Voraussetzungen dafür vorgelegen hätten. Diese andauernde Provokation durch den Dokumentationstrupp führte zu einer kurzfristigen Eskalation der Demonstration. Im weiteren Verlauf der Demonstration wurde der Trupp noch mehrfach von VersammlungsteilnehmerInnen und auch Mitgliedern der Bürgerrechtsgruppe auf seinen Rechtsverstoß hingewiesen und zur Unterlassung aufgefordert. Kurz vor Ende der Demonstration eskalierte der Trupp die Situation erneut durch sein Vorgehen gegen den Beschwerdeführer und eine Begleiterin aus der Gruppe.

„Dieser Beschluss ist insbesondere wichtig für Bürgerrechtsgruppen wie die unsere. In der Vergangenheit wurde unsere Arbeit immer wieder stark durch die Polizei behindert oder unmöglich gemacht. Wir waren Einschüchterungen und Unterbindungen von Foto- und Filmaufnahmen, erzwungenen Löschungen von Aufnahmen, Androhungen von Kamerabeschlagnahmen, Personalienfeststellungen, Platzverweisen und sogar Einkesselungen ausgesetzt“, kommentiert Roland Laich von den „BürgerInnen beobachten Polizei und Justiz“ aus Göttingen den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts. „Der Beschluss geht in seiner Tragweite sogar noch weiter, denn er bezieht sich ausdrücklich auf alle TeilnehmerInnen an öffentlichen Versammlungen“.

Vor dem Göttinger Verwaltungsgericht und dem Niedersächsischen Oberverwaltungsgericht in Celle fand der Kläger kein Gehör. Vielmehr unterstellten diese Gerichte PolizeibeobachterInnen pauschal eine potentielle Rechtsuntreue. Die Einschätzungen der Gerichte bewegen sich regelmäßig zwischen „Anscheinstörern“ und „tatsächlichen Störern“. „Diese Unterstellung erscheint besonders absurd vor dem Hintergrund, dass unser Anliegen die Kontrolle der Rechtstreue der Polizei ist. Offensichtlich ist sie politisch motiviert, wir hoffen aber, dass unsere für eine Demokratie essentielle Funktion nunmehr besser von den Behörden respektiert wird“, gibt sich Laich optimistisch.

„Interessant zu beobachten war auch, dass die Argumentation der gegnerischen Polizeibehörden und der schriftlichen Einlassungen der als Zeugen gehörten Beamten des betreffenden Dokumentationstrupps im Lauf dieser mehrjährigen juristischen Auseinandersetzung einer regen Evolution unterlag, je nach opportuner Prozesslage“, resümiert Laich.


Hintergrundinformationen zur Göttinger Bürgerrechtsgruppe „BürgerInnen beobachten Polizei und Justiz“

Unverhältnismäßige polizeiliche Maßnahmen führen immer wieder zu Verletzungen bei DemonstrationsteilnehmerInnen. Diese Betroffenen von Polizeigewalt haben in der Regel wegen der fehlenden Kennzeichnungspflicht keine Chance, die GewalttäterInnen in Uniform zu identifizieren und den Übergriff zu dokumentieren. Sehr anschaulich wurde dieses Problem im juristischen Nachgang des „Schwarzen Donnerstag“ in Stuttgart. Die dortige Staatsanwaltschaft stellte über 150 Ermittlungsverfahren gegen PolizistInnen wegen Körperverletzung im Amt ein, weil die TäterInnen nicht zu ermitteln waren.

TeilnehmerInnen an Demonstrationen werden immer wieder von PolizeibeamtInnen wahrheitswidrig beschuldigt wegen Beleidigung, Widerstand u.ä.. Vor Gericht werden diese falschen Beschuldigungen dann wiederholt und RichterInnen folgen oft den abgesprochenen und der jeweiligen Prozesslage angepassten Aussagen der BeamtInnen.

Aus diesen Gründen beobachten und begleiten wir seit mehreren Jahren Demonstrationen, dokumentieren sie durch Fotos und Videos und stellen dieses Material Betroffenen von Polizeigewalt bei gerichtlichen Auseinandersetzungen zur Verfügung.

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» Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 24. Juli 2015 im Wortlaut - Aktenzeichen 1 BvR 2501/13

» Pressemitteilung des Bundesverfassungsgerichts zum Beschluss