Fotografierverbot rechtswidrig - ein Polizeieinsatz ist ein "zeitgeschichtliches Ereignis"

Das Urteil bezieht sich zwar unmittelbar auf ein von der Polizei gegen Pressemitarbeiter ausgesprochenes Fotografierverbot, es trifft aber eine Feststellung von wesentlich weiter gehender Bedeutung. Diese betrifft den Bereich des Kunsturhebergesetzes und das Ablichten von Polizeieinsätzen im Allgemeinen - egal durch wen: Ein Polizeieinsatz ist ein "zeit­geschicht­liches Ereignis" im Sinne des § 23 KUG.

Die Pressemitteilung des Bundesverwaltungsgerichts vom 28.3 2012:

"Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig hat heute (am 28.3.2012, Anm.) entschieden, dass ein von der Polizei gegenüber Mitarbeitern einer Zeitung ausgesprochenes Verbot rechtswidrig war, Polizeibeamte des Spezialeinsatzkommandos während eines Einsatzes zu fotografieren.

Beamte des Spezialeinsatzkommandos der Polizei waren beauftragt, den der gewerbsmäßigen Geldwäsche beschuldigten mutmaßlichen Sicherheitschef einer russischen Gruppierung organisierter Kriminalität aus der Untersuchungshaft bei einer Augenarztpraxis in der Schwäbisch Haller Fußgängerzone vorzuführen. Der Einsatz wurde von zwei Journalisten, darunter einem Fotoreporter, bemerkt. Nachdem dieser sich anschickte, Bilder von den Dienstfahrzeugen und den eingesetzten Beamten anzufertigen, forderte der Einsatzleiter ihn auf, das Fotografieren zu unterlassen. Der Journalist unterließ es daraufhin, Bilder anzufertigen. Die Polizei rechtfertigte das Verbot unter anderem damit: Die eingesetzten Beamten des Spezialeinsatzkommandos hätten durch die Veröffentlichung der angefertigten Fotografien in der Zeitung der Klägerin enttarnt werden können. Dadurch hätte ihre künftige Einsetzbarkeit im Spezialeinsatzkommando beeinträchtigt und sie selbst hätten persönlich durch Racheakte gefährdet werden können.

Zunächst wies das Verwaltungsgericht Stuttgart die Klage des Zeitungsverlags ab, für den die Journalisten tätig sind. Auf die Berufung des Verlags stellte dann der Verwaltungsgerichtshof Mannheim fest, dass das Vorgehen des Einsatzleiters rechtswidrig war. Der Verwaltungsgerichtshof hat dabei unter anderem angenommen: Die Gefahr einer unzulässigen Veröffentlichung der angefertigten Fotografien habe nicht bestanden, weil mangels gegenteiliger konkreter Anhaltspunkte von einer Vermutung rechtstreuen Verhaltens der Presse und damit davon auszugehen sei, dass sie keine Porträtaufnahmen der eingesetzten Beamten und im Übrigen nur Fotografien veröffentlichen werde, auf denen die Beamten insbesondere durch Verpixelung ihrer Gesichter unkenntlich gemacht seien.

Gegen dieses Urteil legte das Land Baden-Württemberg Berufung ein, die das Bundes­verwaltungs­gericht nun aber zurückgewiesen hat. Die Polizei durfte nicht schon das Anfertigen der Fotografien untersagen. Der Einsatz von Polizeibeamten, namentlich ein Einsatz von Kräften des Spezialeinsatzkommandos stellt im Sinne der einschlägigen Bestimmung des Kunsturhebergesetzes ein zeitgeschichtliches Ereignis dar, von dem Bilder auch ohne Einwilligung der abgelichteten Personen veröffentlicht werden dürfen. Ein berechtigtes Interesse der eingesetzten Beamten kann dem entgegenstehen, wenn die Bilder ohne den erforderlichen Schutz gegen eine Enttarnung der Beamten veröffentlicht werden. Zur Abwendung dieser Gefahr bedarf es aber regelmäßig keines Verbots der Anfertigung von Fotografien, wenn zwischen der Anfertigung der Fotografien und ihrer Veröffentlichung hinreichend Zeit besteht, den Standpunkt der Polizei auf andere, die Pressefreiheit stärker wahrende Weise durchzusetzen. Eine solche Lage war hier nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichtshofs gegeben."
BVerwG 6 C 12.11, Bundesverwaltungsgericht, 28.3 2012