Aufgrund der potentiell tödlichen Risiken von Pfefferspray stellte die Fraktion der Linken im Bundestag einen Antrag auf eine massive Einschränkung des Einsatzes dieser Polizeiwaffe. Gefordert wird ein generelles Verbot des Einsatzes gegen Versammlungen und Menschenmengen. Die Einsatzvorschriften für Pfefferspray solle den Vorschriften für Schusswaffengebrauch angeglichen werden und jede Anwendung dokumentiert und auf ihre Rechtmäßigkeit überprüft werden. Zukünftig soll Pfefferspray lediglich bei unmittelbarer Gefahr für Leib und Leben von PolizistInnen erlaubt sein.

Der Bundestag hat diesen Antrag in erster Lesung beraten, teilt die Fraktion auf ihrer Internetseite mit: "CDU/CSU, FDP und SPD haben dabei klargestellt, dass sie keinerlei Bedarf für eine Änderung der gesetzlichen Regelung sehen. (...)" Die Fraktion der Linken will sich nun für eine Expertenanhörung im Innenausschuss des Bundestags einsetzen, schreibt sie weiter.

Aus dem Wortlaut der Begründung des Antrags (Vorab-Fassung):

"Aus den aufgezeigten Gesundheitsgefährdungen ergibt sich ein unvereinbarer Widerspruch mit der Bindung polizeilicher Einsatzmaßnahmen an den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Gesetzgeberischer Handlungsbedarf besteht auch deswegen, weil es in der jüngsten Vergangenheit — teilweise auch unter dem Vorwand des Eigenschutzes — wiederholt zu sehr extensiven Anwendungen von Pfefferspray gegen größere Menschenmengen kam: So anlässlich einer Demonstration gegen das Bauvorhaben „Stuttgart 21" am 30. September 2010 sowie bei den Protesten gegen den Castor-Transport Anfang November 2010 im Wendland. Insgesamt gab es Hunderte von Verletzten, in der Regel trugen die Betroffenen Verletzungen an den Augen davon. Auch Pfefferspray-Einsätze gegen größere Menschenmengen am Rande von Fußballspielen werden zahlreich dokumentiert. Bei solchen Einsätzen geht es in der Regel nicht um die Abwehr akuter Lebensbedrohungen, sondern um die Disziplinierung von Menschenmassen. Selbst wenn man der Meinung wäre, die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Proteste in Stuttgart und im Wendland hätten Rechtsverletzungen begangen, so kann die Beendigung einer Versammlung, einer Sitzblockade oder auch einer „Schottern"-Aktion kein Anlass sein, der den extensiven Einsatz von Pfefferspray und damit die Inkaufnahme eines Todesrisikos für die betroffenen Demonstrantinnen und Demonstranten rechtfertigt. Die ungehinderte Durchführung von Bauvorhaben oder die rasche Durchführung eutes Atomtransportes wiegen längst nicht so schwer wie das Leben von Menschen, so dass die Polizei hier unbedingt zu weniger gefährlichen Mitteln greifen muss. Auch beim Einsatz gegen andere größere Ansammlungen von Menschen, wie etwa Fußballfans oder Konzertbesucherinnen und Konzertbesucher, kann eine Gefährdung Unbeteiligter praktisch nie ausgeschlossen werden."

"Ein kleiner Prozentsatz
Immer häufiger gehen Polizisten gegen ­Demonstranten mit Pfefferspray vor. Das ist gefährlicher, als die Regierung zugeben will
(...) Die Sorge, das Mittel könnte weit gefährlicher sein als behauptet, treibt nicht nur Linke um. Ende November wandte sich der FDP-Abgeordnete Erwin Lotter an das Innenministerium. „Als Arzt und ordentliches Mitglied des Gesundheitsausschusses“, schrieb der Liberale, könne er „die durchaus begründeten Implikationen“ der Studie aus dem Binder-Büro „nicht ignorieren“. Zwar finde sich darin „oppositionelle Begleitmusik“. Trotzdem hält Lotter eine Prüfung der Risiken für „dringend geboten“ und fordert, „weniger komplikationsbehaftete Alternativen zu einem Einsatz von Pfefferspray“ in Erwägung zu ziehen.
Doch die Bundesregierung denkt bislang nicht daran. Es liege nun einmal „in der Natur der Sache“, antwortete das Innenministerium der Linksfraktion, dass mit „der Anwendung von Hilfsmitteln der körperlichen Gewalt“ auch „gesundheitliche Beeinträchtigungen“ einhergingen. „Trotz Einzelrisiken“ müsse Pfefferspray daher „in der Palette polizeilicher Mittel beibehalten werden“ – auch wenn „bei einem kleinen Prozentsatz der Fälle eine gravierendere Gesundheitsbeeinträchtigung nicht ausgeschlossen werden kann“.
Aber wie klein ist der Prozentsatz wirklich? Kritischere Risikoeinschätzungen gehen davon aus, dass eine erhöhte Gefahr „für Asthmatiker, Allergiker und blutdrucklabile Personen bzw. bei arterieller Hypertonie“ besteht. So teilt es jedenfalls der Wissenschaftliche Dienst des Bundestags mit. Allein von Asthma sind etwa fünf Prozent der Erwachsenen betroffen, Experten rechnen mit 20 Prozent Allergikern in der Bevölkerung. (...)"
Der Freitag, 04.04.2011