Innenminister Schünemann antwortete am 18. Februar 2011 auf eine Kleine Anfrage der Partei Die Linke im Niedersächsischen Landtag. Pfefferspray gehöre zu den Mitteln des "unmittelbaren Zwanges", sei also "ein Hilfsmittel körperlicher Gewalt". Schünemann behauptet, Im Fall der Demo am 22. Januar 2011 in Göttingen, hätte "gezielt gegen einzelne Störer an der Spitze des Aufzugs" mit Reizstoffsprühgerät bzw. dem Einsatzstock vorgegangen werden müssen, um "die Angriffe gegen die Einsatzkräfte" zu beenden. JedeR, die oder der auf der Demo war, weiß, daß das nicht der Wahrheit entspricht. Auf einem Video sowie auf mehreren Fotos ist z.B. zu erkennen, wie in einer friedlichen Situation (Mitte Goetheallee) anlass- und wahllos in die Menge gesprüht wird. Wenig später prügelte sich an der Leinekanalbrücke ein Trupp PolizistInnen quer durch die Demospitze, auch hierbei kam es zu massivem Pfeffersprayeinsatz, was ebenfalls durch Viedeoaufnahmen dokumentiert ist. Bereits in unserer Presseitteilung zu dieser Demonstration kamen wir zu der Einschätzung, dass diese Eskalationen seitens der Polizei in der Gesamtschau als bereits im Vorfeld geplant erscheinen. Die wiederholten Angriffe mit Pfefferspray spielten dabei eine wichtige Rolle.

Schünemann behauptet in seiner Antwort auf die Kleine Anfrage, dass von Pfefferspraygehe gehe laut keine Gefährdung für den Menschen ausgehe, sofern er in gutem Gesundheitszustand sei und nicht unter Drogen stehe. "In jedem Falle … wird die Anwendung … von Reizstoffen angekündigt und ausreichend Gelegenheit gegeben, sich  …. den Auswirkungen von Reizstoffen zu entziehen." Ausnahme: von der Demo gehen Gewalttaten aus oder stehen unmittelbar bevor. Das entscheiden dann die Polizeikräfte, so wie sie auch bestimmen, was Vermummung ist und was nicht.

Innenminister Schünemann ignoriert das Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestags: "Pfefferspray - Wirkung und gesundheitliche Gefahren" ebenso wie die Untersuchung der MdB Karin Binder: "Der Einsatz von Pfefferspray gegen Demonstranten durch Polizeikräfte". Anlaß für die beiden Arbeiten war der massive Pfefferspray-Einsatz in Stuttgart ("Stuttgart 21") sowie der bei den Castor-Transporten im Wendland. Ihre Schlußfolgerungen stehen konträr zu den verharmlosenden Ausführungen Schünemanns. Das Gutachten Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags verweist auf diverse Gefährdungen und meint zusätzlich: "Nach Angaben von Spiegel-Online ereigneten sich zudem im Jahre 2009 in Deutschland mindestens drei Todesfälle nach einem Polizeieinsatz mit Pfefferspray. Alle Todesopfer standen während der Exposition mit Pfefferspray unter dem Einfluss von Drogen oder Psychopharmaka.

Eine erhöhte Gefahr indirekter gesundheitlicher Folgen besteht schließlich für Asthmatiker, Allergiker und blutdrucklabile Personen bzw. bei arterieller Hypertonie."

Ein im Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestags erwähnter Report der kalifornischen Bürgerrechtsorganisation "American Civil Liberties Union of Southern California" berichtet von 26 Toten durch den Einsatz von Pfefferspray in Kalifornien allein in der Zeitspanne zwischen dem 1. Januar 1993 bis 1. Mai 1995.

In Schünemanns Antwort erfährt man außerdem: "Eine Risikobewertung geht grundsätzlich von gutem Gesundheitszustand einer erwachsenen Person aus, die u.a. nicht unter Drogeneinfluss steht." Damit werden praktisch alle (chronisch) Kranken vom Recht auf Versammlungsfreiheit ausgeschlossen.

Klar ist aber auch, dass der Einsatz am 22. Januar 2011, wie viele andere gleichartige Vorfälle, ein Verstoß gegen die polizeilichen Richtlinien zum Einsatz von Pfefferspray war. Denn dort wird eindeutig vorgeschrieben, dass die Anwendung von Pfefferspray vorher angedroht werden muss, sofern nicht eine unmittelbar Gefahr für die BeamtInnen besteht. Die ebenfalls in den Richtlinien vorgeschriebene Erstversorgung von durch Pfefferspray verletzten findet genauso wenig statt, sie wäre auch gar nicht leistbar.

Aus all diesen Gründen fordert ein von der Fraktion der Linken im Bundestage eingebrachter Antrag folgerichtig ein generelles Verbot des Einsatzes gegen Versammlungen und Menschenmengen.

Schünemanns Anmerkung, Pfefferspray sei "ein reines Naturprodukt in Lebensmittelqualität" kann erscheint da als blanker Zynisus, wahrscheinlich ist sie aber eher gezielte Desinformation.