Beschluss des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 24.09.2015 (11 LC 215/14, Nds. Rechtspflege 2015, S. 385 – 388) bestätigt Rechtswidrigkeit polizeilichen Handelns bei Antifa-Demo im Januar 2012 in Bückeburg

Der Sachverhalt

Am 21.01.2012 fand in Bückeburg unter dem Motto „Farbe bekennen – Für Demokratie und Vielfalt in Bückeburg“ eine Versammlung statt, an der ca. 500 Personen teilnahmen. Auch in ihrer eigenen Prognose ging die Polizei von einem insgesamt friedlichen und geordneten Verlauf der Demonstration aus. Allerdings rechnete sie mit der Teilnahme von bis zu 50 „gewaltgeneigten linken Szeneangehörigen“. Die Polizei war daher vor Ort auch mit einem Beweis- und Dokumentationstrupp vertreten. Zu dieser Einheit gehörte ein Einsatzfahrzeug mit einem ausfahrbaren Mast, an dem eine Kamera montiert war. Die Kamera war technisch sowohl für Direktübertragungen als auch für Bild- und Tonaufzeichnungen ausgelegt. Obwohl die Demonstration insgesamt friedlich verlief und endete, war der Mast mit der Kamera zur Hälfte ausgefahren und die Kamera in einem Winkel von 30 Grad zur Demo-Route ausgerichtet. Hierdurch hat sich ein Teilnehmer der Demonstration in seinen Grundrechten beeinträchtigt gesehen und hat diese polizeiliche Maßnahme durch die Verwaltungsgerichte überprüfen lassen.

Die gerichtlichen Entscheidungen

Sowohl beim Verwaltungsgericht Hannover als auch im Rahmen der von der Polizei eingelegten Berufung hatte der Kläger Erfolg.  Auf den entsprechenden Antrag des Klägers hat das Verwaltungsgericht festgestellt, dass das Vorhalten einer ausgefahrenen Mastkamera bei der friedlichen Zwischenkundgebung in Bückeburg durch die Beklagte [Polizeiinspektion] am 21. Januar 2012 rechtswidrig war. Das Oberverwaltungsgericht hat diese Entscheidung bestätigt und dabei u.a. ausgeführt: „Die durch Art. 8 Abs. 1 GG geschützte innere Versammlungsfreiheit  ist beeinträchtigt, wenn sich die Versammlungsteilnehmer durch staatliche Maßnahmen veranlasst sehen, ihre Meinungsfreiheit in der Versammlung nicht oder nicht in vollem Umfang auszuüben. Die Grundrechtsträger sollen nicht befürchten müssen, als Teilnehmer einer Versammlung wegen oder anlässlich ihrer Grundrechtsausübung staatlicher Überwachung unterworfen und gegebenenfalls Adressat nachteiliger Maßnahmen staatlicher Organe zu werden. Das Bewusstsein, dass  die Teilnahme an einer Versammlung in bestimmter Weise festgehalten wird, kann Einschüchterungswirkungen haben, die zugleich auf die Grundlagen der demokratischen Auseinandersetzung zurückwirken.“ Dabei spielt es keine Rolle, ob die Kamera tatsächlich aufzeichnet oder für den/die demonstrierende Bürger/in nur der Eindruck entsteht, von der Polizei gefilmt zu werden.

Die Polizei hatte versucht ihr Vorgehen mit dem Hinweis zu rechtfertigen, dass es sich bei dem Ausfahren des Mastes mit der Kamera um eine reine Vorbereitung gehandelt habe die notwendig gewesen sei, um schnell auf spontane Entwicklungen reagieren zu können. Dieses Argument wurde aber durch eine Beweisaufnahme widerlegt. Nach deren Ergebnis kann die Dachluke des Einsatzfahrzeugs innerhalb von fünf Sekunden geöffnet und der Mast mit dem Kamerakopf bei geöffneter Luke innerhalb von 10 Sekunden ausgefahren werden. Unmittelbar nach dem Ausfahren aus der Dachluke kann bereits gefilmt werden. Die Polizei muss sich daher künftig damit begnügen, dass Fahrzeug mit eingefahrenem Mast bereitzuhalten oder aber zumindest die Kamera vollständig und deutlich vom der Kundgebung abzuwenden. Die rechtliche Lage ändert sich erst, wenn es auf der Demonstration zur Gewaltanwendung seitens der Demonstranten/innen kommt oder eine solche unmittelbar bevorsteht.

Unsere Bewertung

Die Entscheidungen des Verwaltungsgerichts Hannover und des Oberverwaltungsgerichts in Lüneburg tragen eine bürgerrechtsfreundliche Handschrift und sind daher klar zu begrüßen. Es wäre jedoch naiv anzunehmen, dass sich die Polizei in Niedersachsen ab sofort und flächendeckend an die dort aufgestellten Regeln hält. Die Umsetzung der Entscheidung kann und sollte durch aufmerksame und mutige Bürger/innen unterstützt werden: Sprecht die Einsatzleitung direkt darauf an, wenn euch auffällt, dass trotz einer entspannten Versammlung seitens der Polizei gefilmt wird oder Kameras so ausgerichtet sind, dass damit gerechnet werden muss, dass sie filmen. Wenn die Einsatzleitung nicht sofort Abhilfe schafft, wäre dies hinreichend Anlass, die rechtswidrig ausgerichteten Kameras und ggf. die friedliche Versammlung (in der Totale) filmisch oder fotografisch zu dokumentieren. Das Bundesverfassunggericht räumt allen VersammlungteilnehmerInnen das Recht dazu ein per Beschluss Aktenzeichen 1 BvR 2501/13. Das Dokumentationsmaterial ist dann aber nicht öffentlich zu verbreiten, sondern bildet die Grundlage für eine entsprechende Fortsetzungsfeststellungsklage vor dem Verwaltungsgericht, für die ihr aber anwaltliche Unterstützung benötigt.

Unsicherheiten bleiben in Situationen, in denen die Demonstration zwar nicht gewalttätig ist, aber erkennbar „unruhig“ wird. So muss damit gerechnet werden, dass das laute aber nur symbolische Rütteln an Absperrgittern, die Faschisten schützen, von verschiedenen Verwaltungsgerichten unterschiedlich bewertet werden wird: Die einen führen die oben erläuterte Rechtsprechung weiter und mahnen die Polizei zur Zurückhaltung die anderen sehen darin bereits eine „erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung“ , die den Einsatz von Bild- und Tonaufzeichnungen rechtfertigt (vgl. § 12 Abs. 2 NVersG).