Mit insgesamt fünf Klagen zu vier Geschehnissen gehen Demonstrations- und Polizeibeobachtungsgruppen aktuell gegen die zunehmende Behinderung ihrer Arbeit durch Polizeieinsatzkräfte vor. Verwaltungsgerichtliche Klageverfahren wurden vor den Verwaltungsgerichten in Stuttgart, Karlsruhe, Göttingen und Kassel erhoben. Die fünf Klägerinnen und Kläger im Alter von 32 bis 76 Jahren machen geltend, im Zusammenhang mit der Beobachtung von verschiedenen Polizeieinsätzen in ihrer Arbeit behindert worden zu sein.

Ein Demobeobachter der Gruppe „Demobeobachtung Südwest“ filmte am 11.05.2019 in Pforzheim Rangeleien und Schlagstockeinsätze durch Bundespolizisten gegen eingekesselte Demonstrationsteilnehmer. Mit der Behauptung, dass es sich nicht um Demonstrationsteilnehmer sondern um Straftäter handele, unterbanden die Polizeieinsatzkräfte das Filmen, nahmen die Personalien des Beobachters auf und erteilten ihm einen Platzverweis. Am 24.05.2019 verfügten Polizeibeamte der Göttinger Polizeidirektion eine Personalienfeststellung gegenüber einer Beobachterin der Göttinger Gruppe „Bürgerinnen und Bürger beobachten Polizei und Justiz“. Die 32-jährige hatte polizeiliche Maßnahmen gegenüber Teilnehmern einer fridays for future-Demonstration in Göttingen dokumentiert. Zwei weitere Kläger der Gruppe „Demobeobachtung Südwest“ waren nur einen Tag später, am 25.05.2019 trotz ihrer Kennzeichnung als Demonstrationsbeobachter durch die Einsatzkräfte in Stuttgart nach einer Versammlung zu Versammlungsteilnehmern erklärt, festgehalten, fotografiert und ihre Daten in Polizeidatenbanken gespeichert worden. Am 20.07.2019 dokumentierte ein Mitglied der Göttinger Gruppe „Bürgerinnen und Bürger beobachten Polizei und Justiz“ polizeiliche Maßnahmen gegenüber Demonstrierenden vor dem Gebäude des Polizeipräsidiums Nordhessen in Kassel. Unter Androhung der Beschlagnahme der Kamera wurde der 53-jährige Polizeibeobachter gezwungen, die Dokumentation zu beenden und seine Personalien an die Beamten herauszugeben.

Mit Beschluss vom 25.07.2015 hatte das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) unter dem Az. 1 BvR 2501/13 die Rechte der unabhängigen Demonstrations- und Polizeibeobachtung gestärkt. Hiernach besteht das Recht, frei von staatlichen Eingriffen wie Personalienfeststellungen oder Platzverweisen das Verhalten von Polizeikräften im Zusammenhang mit Versammlungen zu beobachten und ggf. Beweise für Fehlverhalten von Polizeibeamten auch in Bild und Ton zu dokumentieren.

Im November letzten Jahres trafen sich Polizei- und Demobeobachtungsgruppen aus Berlin, Baden-Württemberg, Niedersachsen und NRW zu einem bundesweiten Vernetzungstreffen. Sie weisen entschieden die stetigen Zunahmen der Einschränkungen ihrer wichtigen Arbeit zurück. Ihre Arbeit sei für einen Rechtsstaat unerlässlich, da unrechtmäßiges Polizeihandeln regelmäßig nur durch Vorlegen von Filmaufnahmen gerichtlich verfolgt und aufgeklärt wird.

„Die beklagten Maßnahmen sind nur Beispiele für eine zunehmende Praxis von Polizeieinsatzkräften, in Widerspruch zu der Entscheidung des BVerfG unser Recht auf eine unabhängige Beobachtung zu beschränken“ kritisiert Roland Laich von der Gruppe „Bürgerinnen und Bürger beobachten Polizei und Justiz“, der die Entscheidung des BVerfG vom 25.07.2015 erstritten hatte, die aktuelle Entwicklung. Zuletzt hatte auch das Landgericht Kassel mit Beschluss 23.09.2019 (Az.: 2 Qs 111/19) eine Personalienfeststellung für rechtswidrig erklärt, die mit der absurden polizeilichen Begründung erfolgte, die Dokumentation polizeilicher Maßnahmen wäre die Aufzeichnung des vertraulich gesprochenen Wortes und damit eine Straftat nach § 201 StGB. „Offenbar muss der Polizei die Bedeutung der Verfassungsgerichtsentscheidung durch weitere Gerichtsentscheidungen verdeutlicht werden“ so Laich weiter zu dem Grund der weiteren Klageerhebungen.

Im Folgenden kurze Zusammenfassungen der streitigen polizeilichen Maßnahmen:

 

Kurzzusammenfassung Geschehnisse Klagen Polizei-/Demobeobachter


Personalienfeststellung und Platzverweis am 11.05.2019 in Pforzheim bei einer Demonstration der Partei Die Rechte und Gegendemonstrationen – Demobeobachtung Südwest

Als einer von drei Beobachter*Innen der Bürgerrechtsorganisation “Demobeobachtung Südwest” beobachtete G. am 11.5. ganztäglich eine Demonstration von Neonazigegner*Innen, die sich hauptsächlich um den Pforzheimer Bahnhof herum abspielte, wo sich auch Anhänger*innen der Partei “Die Rechte” versammelt hatten.

Als kurz nach 16 Uhr ein Gewitterschauer niederging, strömten viele Teilnehmer*Innen beider Demonstrationen in den Bahnhof. Infolgedessen kam es im Bahnhof zu Rangeleien und Schlagstockeinsatz durch Bundespolizist*Innen, weswegen G. filmte. In der Bahnhofsunterführung lagen verletzte Personen. Beim Filmen dieser Situation in der weiterhin öffentlich zugänglichen Unterführung wurde G. von einem Bundespolizisten angewiesen, das Filmen einzustellen, da es sich um Polizeiaktionen gegen Straftäter*innen handele, die nicht in Verbindung mit der Versammlung stünden.

G. händigte dem Polizisten eine ausgedruckte E-Mail aus, die über die Rechtslage von Beobachter*Innen und entsprechende Urteile aufklärt. Mit dieser Mail kündigte “Demobeobachtung Südwest” gegenüber Polizei und Ordnungsamt ihr Kommen an. Auf die Bitte, Kontakt zum Anti-Konflikt-Team der Landespolizei herzustellen, ging der Polizist nicht ein. Nach Personalienfeststellung und einem Telefonat mit seinem Vorgesetzten erteilte er G. mündlich einen Platzverweis und drohte nach der Bitte auf eine schriftliche Ausstellung des Verweises mit Konfiszierung des Camcorders.

Personalienfeststellung bei einer Beobachterin am 24.05.2019 in Göttingen bei der Demonstration der Gruppe „Fridays for Future“ – Bürgerinnen und Bürger beobachten Polizei und Justiz

Die Beobachterin W. von „Bürgerinnen und Bürger beobachten Polizei und Justiz“ begleitete am 24. Mai ab 10 Uhr eine Demonstration der Göttinger Gruppe „Fridays for Future“. Gegen 10:50 Uhr, als die Demonstration gerade die Kreuzung Berliner Straße/Groner Landstraße passierte, näherten sich mehrere Polizeifahrzeuge und die aussteigenden Polizist*Innen begaben sich zum Ende der Demonstration, wo mehrere durch die Versammlungsleiterin aus der Versammlung ausgeschlossene Versammlungsteilnehmer*Innen mit der Polizei diskutierten. Da die Situation unklar war und einiger Aufruhr bestand, schaltete die Beobachterin ihre Kamera ein und filmte die Situation aus einiger Entfernung. Daraufhin wurde Sie von einem Polizisten und einer Polizistin darauf hingewiesen, dass auch Polizisten ein Allgemeines Persönlichkeitsrecht hätten und sie die Aufnahmen nicht veröffentlichen dürfe. Weiterhin führte man eine Personalienfeststellung durch, um im Falle einer Veröffentlichung gegen die Beobachterin vorgehen zu können.

Die Gruppe „Bürgerinnen und Bürger beobachten Polizei und Justiz“ gibt Filmmaterial nur an Betroffene von Polizeimaßnahmen für die Verwendung in Gerichtsprozessen weiter und veröffentlicht keine Aufnahmen. Das Vorgehen der Gruppe war bereits Gegenstand höchstrichterlicher Rechtsprechung. Laut Bundesverfassungsgericht darf jedermensch polizeiliche Maßnahmen zum Zweck der Beweissicherung dokumentieren und dabei nicht selbst zum Gegenstand polizeilicher Maßnahmen werden (Aktenzeichen 1 BvR 2501/13). Diese Rechtsprechung ist bundesweit bei der Polizei und insbesondere bei der Göttinger Polizei bekannt. Die Personalienfeststellung der Polizei war daher eindeutig rechtswidrig. Hierauf wies die Beobachterin vor Ort auch hin.

Kesselung und teilweise ED-Behandlung von Demobeobachtern am 25.05.2019 in Stuttgart nach der Demonstration „Solidarität mit den Hungerstreikenden“ – Demobeobachtung Südwest

Zwei Mitglieder der Gruppe "Demobeobachtung Südwest" beobachteten am 25.5. in Stuttgart die vor allem von Kurden getragene Demonstration "Solidarität mit den Hungerstreikenden". Während der Demonstration selbst verlief die Beobachtung unproblematisch.

Nach der Beendigung der Demo hielt die Polizei mehrere Personen fest, vermutlich um ihre Personalien festzustellen. Da das ungehinderte Verlassen von Kundgebungen ebenfalls von Art. 8 GG geschützt ist, setzten die Beobachter H. und N. die Beobachtung fort. Dabei schnappten sie im Vorbeigehen Polizeikommunikation auf, wonach sich eine vermummte Gruppe möglicherweise am Königsbau befände. In diese Richtung rannten auch einige Polizist*Innen. Die beiden Beobachter versuchten, die beschriebene Gruppe zu finden, hatten aber keinen Erfolg. Unter den Arkaden an der Ecke Bolzstraße / Schlossplatz fanden sich H. und N. in einer Gruppe von Menschen, die nicht vermummt waren und deren Zugehörigkeit zur beendeten Demonstration unklar war. Ohne erkennbaren Anlass wurden beide zusammen mit der übrigen Gruppe von der Polizei eingekesselt, wobei die Polizei die Maßnahme mit Verstößen gegen das Versammlungsgesetz begründete. Nur unter Abgabe der Personalien durften sich die Eingeschlossenen entfernen.

N. und H. versuchten jedoch den Kessel ohne Personalienaufnahme zu verlassen und verwiesen auf ihre Eigenschaft als Demobeobachter und ihre zusätzlich erfolgte Anmeldung bei der Polizei. Sowohl die örtlichen Einsatzkräfte, als auch der telefonisch kontaktierte Vorgesetzte verweigerten dies. Alternativ wurde den beiden Beobachtern die Ingewahrsamnahme angedroht. Verlassen konnten H. und N. den Kessel schließlich nur durch Erduldung einer teilweisen ED-Behandlung. Sie mussten ihre Personalausweise übergeben, sich breitbeinig und mit erhobenen Händen an eine Wand stellen und filmen lassen, sowie von vorn und hinten abtasten lassen. Auch durchsuchten die Polizist*Innen die Rucksäcke. Diese Art der Kontrolle wurde allen Eingeschlossenen zuteil. N. und H. konnten um ca. 17.00 Uhr, ca. 15 Minuten nach ihrem ersten Versuch, den Ort des Geschehens verlassen.


Personalienfeststellung bei einem Polizeibeobachter am 20.07.2019 in Kassel anlässlich einer Demonstration der Partei Die Rechte und Gegendemonstration – Bürgerinnen und Bürger beobachten Polizei und Justiz

Vorausgegangen waren an diesem Tag mehrere Demonstrationen in Kassel gegen einen Nazi-Aufmarsch. Im Verlauf wurden einige Personen in Gewahrsam genommen und in das Gebäude der PI Kassel verbracht. Deshalb begaben sich L., ein Beobachter der Bürgerrechtsgruppe „Bürgerinnen und Bürger beobachten Polizei und Justiz“ aus Göttingen, gemeinsam mit einer Kollegin und dem Anwalt des Klägers nach Abschluss aller Demonstrationen dort hin. Vor der Haupteinfahrt des Gebäudekomplexes hatten sich einige Personen versammelt. Polizist*Innen führten bei diesen eine Personalienkontrolle durch, die sich erkennbar kurz vor dem Abschluss befand. Der Anwalt bot seinen Rechtsbeistand an. Die anwesenden Polizist*Innen wollten dies aber mit unzutreffenden rechtlichen Begründungen nicht zulassen. Um dieses Verhalten zu dokumentieren, kündigte L. gut hörbar an, dass er nun die Dokumentation beginnen werde und schaltete die Kamera ein. Nach kurzer Zeit wandten sich daraufhin einige der Beamt*innen dem Polizeibeobachter L. zu und verlangten, dass er die Kamera ausschalten solle. Außerdem sollten seine Personalien festgestellt werden. Es entspann sich eine Diskussion über die Rechte von Beobachter*innen (siehe auch Vorfall vom 24.5.). Die rechtliche Argumentation seitens der Polizei begann beim für diese Situation unzutreffenden „Recht am eigenen Bild“, was L. unter Verweis auf ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts zurückwies, das er bereits im Jahr 2015 erstritten hatte (Az. 1 BvR 2501/13). Dies führte bei der Polizei zu einem Wechsel der Argumentation dahin gehend, L. könnte evtl. „Polizeitaktiken“ oder das Gebäude der PI Kassel „ausspähen“. Dieser Vorwurf war absurd, denn L. stand vor dem Gebäude und filmte in abgewandter Richtung. Schlussendlich wurde § 201 StGB (Verletzung des vertraulich gesprochenen Worts) ins Feld geführt. Auch wurde eine mögliche erzwungene Sichtung und Löschung seiner Filmdokumentationen oder alternativ die Beschlagnahme von Speicherkarte bzw. Kamera angedroht. L. kündigte daraufhin eine Klage gegen jegliche Maßnahme an. Schlussendlich wurden nach erneuter Intervention des Anwalts vor Ort die Personalien des Beobachters L. aufgenommen.