Bürger*innen beobachten Polizei und Justiz

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Durch die Strafvorschrift des § 201 StGB (Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes) wird ua. diejenige mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bedroht, die unbefugt das nichtöffentlich gesprochene Wort eines anderen auf einen Tonträger aufnimmt. Da bei der Anfertigung eines Handy-Videos in der Regel automatisch die Tonaufnahme mitläuft, kann der Tatbestand des § 201 StGB auch so verwirklicht werden.

Strafbar macht sich zum Beispiel diejenige, die sich mit zur Aufnahme aktiviertem Mobiltelefon von hinten an zwei Bereitschaftspolizisten*innen heranschleicht, die dienstlich ein Fußballspiel begleiten und sich dabei über das Scheitern ihrer letzten Beziehung oder Probleme bei der Kindererziehung unterhalten.

Aber ist es auch strafbar, eine ruppige Personalienfeststellungen einer Person of Color durch die Polizei mit dem Handy zu dokumentieren, wenn dabei auch die Tonspur aktiv ist?

Wenn es nach den Empfehlungen der großen Interessenverbände der Polizei, diversen Staatsanwaltschaften oder einigen Amtsgerichten geht: Ja! Denn diese legen den Begriff des „nichtöffentlich gesprochenen Wortes“ sehr weit aus und fassen darunter jede – auch dienstliche – Äußerung, die nicht bewusst an einen nicht für einen größeren, nach Zahl und Individualität unbestimmten Personenkreis gerichtet ist. Diese Auslegung kann als Hebel dienen, um eine bürgerrechtliche motivierte effektive Polizeibeobachtung erheblich zu erschweren. Denn es droht den Beobachter*innen nicht nur eine Geld- oder eine Freiheitsstrafe, sondern sie müssen bereits an Ort und Stelle mit einer Beschlagnahme des eigenen Mobiltelefons rechnen.

Vor diesem Hintergrund begrüßen wir Stimmen in der Literatur und in der Rechtsprechung, die hier bei der Auslegung der Strafvorschrift von § 201 StGB behutsamer vorgehen. Wir empfehlen zur Lektüre den Aufsatz von Myriam-Sophie Wyderka mit dem Titel „Darf man Polizisten (mit Tonaufnahme) filmen?“ (ZD-Aktuell 2019, 06823 – auch über das Portal beck-online veröffentlicht) sowie den Beschluss des Landgerichts Kassel vom 23.9.2019 (Az. 2 Qs 111/19).

Wyderka schlägt vor, den Begriff „nichtöffentlich“ insoweit nach Sinn und Zweck einschränken, dass Äußerungen der Polizei während der Durchführung von Maßnahmen gegenüber Bürgern – d. h. während polizeirechtlicher Standardmaßnahmen, Maßnahmen nach der jeweiligen polizeilichen Generalklausel und Maßnahmen im Rahmen der StPO – immer dokumentiert werden dürfen und dass dies allein von einer ggf. auch mutmaßlichen Einwilligung des Betroffenen der jeweiligen Maßnahme abhängt. Das Landgericht Kassel hat in seinem Beschluss vom 23.9.2019 darauf abgestellt, dass in solchen Situationen eine faktische Öffentlichkeit bestehe. Hier müssten die sprechenden Polizeibeamten*innen auf Grund der jeweiligen Situation damit rechnen, dass ihre Aussagen auch von anderen vernommen werden können. Ferner hat das Landgericht Kassel angenommen, dass die Dokumentation durch andere Bürger*innen nicht strafbar sei, wenn eine mutmaßliche oder ausdrückliche Einwilligung der Person vorliege, die „Objekt“ der polizeilichen Maßnahme sei.

In Situationen, in denen Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die dokumentierte polizeiliche Maßnahme rechtswidrig sein könnte, dürfte das Filmen mit Tonaufnahme zudem gemäß § 34 StGB unter dem Gesichtspunkt des rechtfertigenden Notstands erlaubt sein (vgl. dazu: Dr. David Ullenboom "Das Filmen von Polizeieinsätzen als Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes?" NJW 2019, 3108).

Prof. Dr. Fredrik Roggan von der Hochschule der Polizei des Landes Brandenburg verneint grundsätzlich einen möglichen Rechtsverstoß in seinem Beitrag „Zur Strafbarkeit des Filmens von Polizeieinsätzen – Überlegungen zur Auslegung des Tatbestands von § 201 Abs. 1 Nr. 1 StGB“ (StV 5, 2020, S. 328 u. LSK 2020, 17805403). Denn die Bundesgesetzgebung erlaube den Einsatz von Bodycams durch Bundespolizei an jedem beliebigen öffentlich zugänglichen Ort. Implizit führe die Pre-Recording-Funktion von Bodycams zu einer Abhörbarkeit des gesamten öffentlichen Raums. Somit könne es sich „bei dienstlich gesprochenen Worten von Polizeibeamten aus Anlass eines beliebig begründeten Kontakts mit einem Bürger niemals um nichtöffentlich gesprochene Worte ... handeln. Im Ergebnis könne der Tatbestand des § 201 StGB in entsprechenden Situationen damit nicht erfüllt werden.“
Und weiter: „Es wäre nachgerade abwegig, die bei Polizeieinsätzen fallenden Worte polizeilicherseits (beispielsweise im Rahmen des Pre-Recording) aufzeichnen zu dürfen, und gleichzeitig eine Strafbarkeit durch Nicht-Polizeibeamte zu begründen.

Das Amtsgericht Frankenthal (Pfalz) würdigt in seinem Beschluss vom 16.10.2020 (Az. 4b Gs 1760/20) die hier aufgezeigten Aspekte, gemeinsam mit dem von uns erstrittenen Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 24.7.2015 (Az. 1 BvR 2501/13). Mit diesem Beschluss stellte das Bundesverfassungsgericht grundsätzlich fest, dass „Ton- und Bildaufnahmen von den eingesetzten Beamten“ zulässig sind, wenn sie der Dokumentation eines mutmaßlichen Rechtsbruchs seitens Polizeibeamt*innen dienen und als Beweismaterial für gerichtliche Aufklärung dienen sollen. Folgerichtig verneinte das Amtsgericht Frankenthal eine Strafbarkeit des Filmens eines Polizeieinsatzes mit einem Smartphone, verbunden mit der Einziehung des Geräts als Tatmittel, „da es bereits am Tatbestandsmerkmal einer nichtöffentlichen Äußerung fehlt.“ Im Gegenteil ist nach Auffassung des Gerichts „im Hinblick auf das grundgesetzlich gebotene rechtsstaatliche Vorgehen und Verhalten der Polizei die Anfertigung von Ton- und Filmaufnahmen zur Transparenz und effektiven öffentlichen Kontrolle polizeilichen Handelns unerlässlich und damit regelmäßig gerechtfertigt.“

Gegen diesen Beschluss legte die Staatsanwaltschaft allerdings Beschwerde ein. Das Landgericht Frankenthal (Pfalz) bestätigte daraufhin mit Beschluss vom 17.12.2020 (Az. 7 Qs 311/20) die Einziehung des Geräts als Tatmittel. Einer grundsätzlichen Bewertung einer möglichen Strafbarkeit des Filmens von Polizeieinsätzen enthält sich das Gericht, unter Verweis auf die Umstände des konkreten Falls und die bislang uneinheitliche Rechtsprechung.