Pressemitteilung der „BürgerInnen beobachten Polizei und Justiz“ vom 01.02.2011
Nach einer Auswertung des uns vorliegenden Foto- und Videomaterials der Demonstration am 22.01.2011 anlässlich der DNA-Entnahme eines 20-jährigen Göttingers kommen wir (die BügerInnen beobachten Polizei und Justiz) zu folgendem Ergebnis:
Das Material zeigt die mitunter anlasslose und willkürliche Gewalteskalation von Seiten der Polizei. Diese Eskalationen erscheinen in der Gesamtschau als bereits im Vorfeld geplant und mit Eskalationsstrategie ausgeführt.
Die Behauptung der Polizei, Vermummung unterbinden zu müssen, ist nicht überzeugend, da die Definition von Vermummung der mutwilligen Interpretation der Polizei überlassen ist und damit Übergriffe zu rechtfertigen scheint. Zudem ist nach der Verhältnismäßigkeit zwischen tatsächlicher oder vermeintlicher Vermummung auf der einen und massiven Prügel- und Pfeffersprayeinsätzen auf der anderen Seite zu fragen.
So wurde dokumentiert, wie die eingesetzte Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit (BFE), welche der Demonstration voraus ging, die Helme unmittelbar und ohne Anlass aufsetzte, kaum dass die Demo aus der Öffentlichkeit der Fußgängerzone in die Reitstallstraße abbog. Als die Demonstration nach einer Zwischenkundgebung am Waageplatz weitergehen wollte, wurde ihr der Weg durch die BFE wirksam versperrt, das Fronttransparent mit Einsatzschlagstöcken aus den Händen geschlagen und die ersten Reihen der DemonstrationsteilnehmerInnen mit Pfefferspray attackiert. Bis zu diesem Zeitpunkt und auch darüber hinaus verhielten sich die TeilnehmerInnen der Demonstration rein defensiv.
Abermals stellte sich der Demonstration eine Polizeikette grundlos kurz nach Einbiegen in die Goetheallee in den Weg. Ein Polizist sprühte hier in einer völlig friedlichen Situation abermals anlasslos Pfefferspray in die Demonstration.
Die Demonstration wurde seit Verlassen der Innenstadt unablässig von einem voraus fahrenden Polizeikamerawagen und mehreren Dokumentationseinheiten zu Fuß gefilmt.
Eine solche Dokumentationseinheit zu Fuß provozierte in der Goetheallee in Höhe der Leinebrücke sodann eine Diskussion mit DemonstrationsteilnehmerInnen, in deren Verlauf ein weiterer Zug der BFE offenbar als Hilfestellung den Demonstrationszug abermals massiv gewalttätig mit Schlagstöcken und Pfefferspray anging. In diesem Zusammenhang wurde eine Person außerhalb der Demonstration von mehreren Polizeibeamten mit Faustschlägen und Pfefferspray attackiert.
Im Zuge dieses Einsatzes sollen ca. 30 Personen insbesondere durch Pfefferspray verletzt worden sein.
Wir haben unser Material Anwälten in Göttingen übergeben, die nun Strafanzeigen gegen gewalttätige Polizeibeamte erstatten und Klagen gegen dieses Vorgehen erheben.
Das Verhalten der Polizei am 22.01.2011 der Demonstration gegenüber war offensichtlich Ausdruck einer gewollten Eskalation und sprach dem Versammlungsrecht Hohn. Das Thema Polizeigewalt ist brandaktuell, nicht nur in Stuttgart oder im Wendland, sondern auch hier in Göttingen.
Pfefferspray wird inzwischen auf Demonstrationen, wie auch am 22.01. in Göttingen, literweise wie harmloses Wasser auf Menschen versprüht. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit - ein Mittel wie Pfefferspray erst einzusetzen, wenn mildere Mittel keine Wirkung mehr zeigen – und die gesetzliche Vorgabe, einen Einsatz von Pfefferspray als Mittel unmittelbaren Zwangs vor Anwendung anzudrohen, müssen der Polizei wieder vergegenwärtigt werden.
Die früheren Behauptungen, das in Niedersachsen seit rund zehn Jahren eingesetzte Pfefferspray sei vergleichsweise harmlos, ist zudem schon lange nicht mehr haltbar. Nicht umsonst verbietet das Abkommen über biologische Waffen seit fast 40 Jahren den Einsatz des darin enthaltenen Reizstoffs „Oleoresin Capsicum“ (OC). Im Inneren ist das Pfefferspray aber nach wie vor erlaubt, obwohl sein Einsatz weltweit zu schweren Erkrankungen geführt und gar Todesopfer gefordert hat. So beschrieb das US-amerikanische Justizministerium im Jahre 2003 zahlreiche Todesfälle im Zusammenhang mit dem Einsatz von Pfefferspray, in Deutschland ereigneten sich allein im Jahr 2009 drei dokumentierte Todesfälle. Eine nachgewiesen besondere Gefahr besteht in diesem Zusammenhang z.B. für AsthmatikerInnen.
Weitere Informationen zum Thema Pfefferspray finden Sie hier.