Von den späten 1960er Jahren bis Mitte der 1980er Jahre starben in ganz Europa mehrere Hundert Menschen und Tausende wurden verletzt. Die meisten Täter wurden nie ermittelt oder gefasst, ihre Hintermänner blieben weitestgehend im Dunkeln. Dies erklärt sich dadurch, dass diese Welle terroristischer Anschläge von einer als "Gladio" bekannt gewordenen Geheimarmee geplant und ausgeführt wurde. Diese intern "stay-behind" genannte Organisation wurde von nationalen Geheimdiensten unter der Regie des US-Armeegeheimdienstes aufgebaut, vorbei an den Parlamenten und unter Bruch der Nationalverfassungen.

Ursprünglich war sie im Kalten Krieg als Untergrundarmee gegründet worden, um im Fall eines militärischen Angriffs von Truppen des Warschauer Pakts gegen Mittel- und Westeuropa hinter den Linien einen Guerillakrieg aufzunehmen, daher auch der Name stay-behind. Die sowjetischen Panzerkolonnen kamen nicht und so wandelte sich die Mission der Geheimsöldner im Lauf der Zeit: Es galt, den Einfluss kommunistischer und ganz allgemein linker Strömungen einzudämmen, gar deren erreichen einer Mehrheit bei demokratischen Wahlen zu verhindern. Dafür schreckte man nicht vor Terror und Mord zurück, man heuerte alte Nazis als ausgewiesene Antikommunisten an, ebenso junge Nazis, und man meinte diese steuern zu können.

Der verheerendste Terroranschlag in der Nachkriegsgeschichte der BRD war das rechtsterroristische Bombenattentat auf das Münchner Oktoberfest im Jahr 1980 mit 13 Toten und 211 Verletzten. Der Autor Wolfgang Schorlau hat im Zuge eines Kriminalromans zum Oktoberfest­attentat recherchiert, nachdem ihn zwei Polizisten in einer Indiskretion auf viele Widersprüche bei den Ermittlungen, auf unterdrückte Zeugenaussagen, auf unter­lassene Ermittlungen und auch auf vernichtete Spuren hingewiesen haben. Sie gewährten ihm eine Nacht Einsicht in die Originalakten. Schorlau recherchierte weiter und stieß unter anderem auf Zeugenaussagen, dass sich der angebliche Einzeltäter Gundolf Köhler, Mitglied der Wehrsportgruppe Hoffmann, wenige Minuten vor der Explosion ganz in der Nähe des Anschlags­ortes mit weiteren Personen getroffen hatte [1]. Eines der später vernichteten Beweis­mittel ist ein abgerissener Finger, der keinem Opfer zugeordnet werden konnte. Am Vormittag des Tags des verheerendsten Terrorattentats in der Nachkriegsgeschichte der Bundesrepublik wurde ein Konvoi der Wehrsportgruppe Hoffmann, der sich in Süddeutschland auf dem Weg in den Nahen Osten befand, von Verfassungs- und Staatsschützern observiert. Später wurden Selbst­bezichtigungen von Wehrsportgruppenmitgliedern bekannt, am Attentat beteiligt gewesen zu sein, so vom damals nach Beirut emigrierten Wehrsportgruppenmitglied Stefan Wagner, der sich 1982 bei einem Amoklauf in Frankfurt selbst richtete [1], und von Walter Ulrich Behle, einem V-Mann des Verfassungsschutzes NRW, an der Bar des Hotels Babylos in Damaskus gegenüber Wehrsportgruppen-Chef Hoffman [2].
Schorlau hat auf seiner Internetseite eine sehr fundierte Zusammenstellung von Quellen veröffentlicht.

Weitere Hintergrundartikel und -berichte zum Oktoberfest­attentat und stay-behind im Allgemeinen:

  • Das Oktoberfestattentat war kein Werk eines Einzeltäters
    Telepolis-Interview mit dem Journalisten Tobias von Heymann, der ein Buch über das Oktoberfestattentat veröffentlichte
  • "Die V-Mann-Problematik hat es damals schon gegeben"
    Telepolis-Interview mit dem Anwalt einiger Opfer des Oktoberfestattentats, Werner Dietrich. Er fordert seit fast drei Jahrzehnten eine Wiederaufnahme der Ermittlungen.
    "Im Zuge der rechtsradikalen Mordserie werden in Öffentlichkeit und Politik die "Schlampereien", die "Pleiten und Pannen" des Verfassungsschutzes bei der Observierung von Neo-Nazis thematisiert wie auch die generelle Ignoranz der Behörden gegenüber dem rechten Terror und damit verbunden der bizarren Verharmlosung desselben. Tatsächlich wird aber versäumt zu fragen, ob dieser Irrsinn nicht Methode haben könnte. Lassen sich die Taten der Terrorzelle nicht vielleicht einer Strategie der Spannung zuordnen, die während des Kalten Krieges in Europa von westlichen Geheimdiensten im Verbund mit Rechtsradikalen verfolgt wurde? In Deutschland wird damit seit einiger Zeit das Oktoberfest-Attentat in Verbindung gebracht, gleichwohl gilt hier immer noch die These, dass der mit rechtsradikalen Kreisen bestens vernetzte Gundolf Köhler ein Einzeltäter gewesen sei - trotz zahlreicher und eindeutiger Zeugenaussagen und Indizien, die dagegen sprechen, wie auch schwerwiegenden Widersprüchen in der offiziellen Darstellung der Tat. Werner Dietrich, der als Anwalt einiger Oktoberfestopfer vertritt und sich seit Jahren für die Wiederaufnahme der Ermittlungen einsetzt, sieht deutliche Parallelen zum Fall von Zwickau", schreibt Telepolis in der Einleitung.
  • Reportage des SWR und BR von 2009: Anschlag auf die Republik: Teil 1, Teil 2, Teil 3, Teil 4 und insbesondere Teil 5 mit Augenzeugenberichten und zu vernichteten Beweisstücken
  • Reportage "Die geheimen Armeen der NATO - Operation GLADIO" von 2009, in der u.a. aufklärende Staatsanwälte, Mitglieder parlamentarischer Untersuchungsausschüsse und Täter zu Wort kommen: Teil 1, Teil 2, Teil 3, Teil 4.
    In Teil 4 zieht Opferanwalt Werner Dietrich angesichts des Umstands, dass sämtliche Asservate beim BKA und Bayerischen LKA 1997/98 vernichtet wurden das Fazit:  "Das ist mehr als ungewöhnlich, dass das in einem Verfahren, das weder verjährt ist, noch rechtskräftig abgeschlossen ist, die Unterlagen, also sprich die Bombenteile, Leichenteile usw. vernichtet werden. Die Frage ist, welche Interessen dahinterstehen und was damit nicht aufgeklärt werden soll."
  • ARTE-Dokumentation "Gladio - Geheimarmeen in Europa" von 2010: Teil 1, Teil 2, Teil 3, Teil 4, Teil 5, Teil 6. Im ersten Teil werden die Ursprünge der Organisation am Ende des zweiten Weltkrieges gut beleuchtet und geostrategisch eingeordnet. In Teil 6 fasst die
    Dokumentation zusammen: "Die für Geheimdienste zuständige Regierungsstelle und damit auch die Regierungschefs aller Parteien von 1953 bis 1990 hatten Kenntnis von dieser Geheimstruktur, nicht aber das Parlament." Jerzy Montag, grüner MdB und Mitinitiator einer parlamentarischen Anfrage zum Thema, resümiert: "Es ist eine langjährige Geschichte der Vertuschung und Verheimlichung, statt der Öffnung und Erklärung. ... Es gab nie das Bedürfnis oder das Interesse der Regierungen oder der Sicherheitskräfte mit dieser Vergangenheit reinen Tisch zu machen."
  • Bereits im Jahr 1991 berichtete das "Antifaschistische Infoblatt" (Nr. 14) ausführlich über Gladio und stay-behind sowie dessen Vorläufer "Technischer Dienst" (TD) im "Bund Deutscher Jugend" (BDJ). In "Antifaschistisches Infoblatt" Nr. 94, 2012, wird das Thema mit neuen Erkenntnissen nochmals aufgegriffen: "Geheimdienste und antikommunistische 'Partisanen' in der BRD".


Teil der stay-behind-Strategie war es, geheime Waffenlager anzulegen. Aus diesen Depots wurden offenkundig westdeutsche Nazi-Terroristen, aber auch jene in Südtirol, mit Waffen und Sprengstoff ausgestattet. Obwohl die Ermittler aus Anlass des Oktoberfestattentats einen konkreten Hinweis auf die Existenz dieser Depots erhielten, ist es einem Zufall zu verdanken, dass ein Teil der Depots im Jahr 1981 aufflog:

"So hatten die Mitglieder der Deutschen Aktionsgruppen Raymund Hörnle und Sibylle Vorderbrügge einen Tag nach dem Oktoberfestattentat ausgesagt, dass der Rechtsextremist (und Revierförster Heinz Lembke im Landkreis Uelzen, Anm.) ihnen Waffen, Sprengstoff und Munition angeboten und von umfangreichen Waffendepots erzählt habe. Diesem Hinweis ging die Staatsanwaltschaft jedoch erst nach, als Waldarbeiter ein knappes Jahr später durch Zufall eines der Depots entdeckten. Lembke offenbarte im Untersuchungsgefängnis die Lage seiner 33 illegalen Waffen- und Sprengstoffdepots, deren Entdeckung bei Uelzen in der Lüneburger Heide 1981 ein breites Medienecho fand: Sie enthielten unter anderem automatische Waffen, 13.520 Schuss Munition, 50 Panzerfäuste, 156 kg Sprengstoff und 258 Handgranaten." [3]

Nach diesen Funden kündigte der inhaftierte Lembke an, umfangreiche Erklärungen über seine Hintermänner abzugeben. Dazu hatte er aber keine Gelegenheit mehr, "da Lembke am 1. November 1981, einen Tag vor seiner Vernehmung durch einen Staatsanwalt, erhängt in seiner Gefängniszelle aufgefunden wurde"[3]. Die Stasi der DDR hatte duch eine Vielzahl von Agenten, die sie in den westdeutschen Verfassungsschutz- und Polizeibehörden installiert hatte, umfangreiche Kenntnisse über stay-behind. Aus den Stasi-Akten geht hervor, dass sich einer der Sender, über die stay-behind-Mitglieder kommunizierten, ganz in der Nähe von Lembkes Försterei befand.

Im Jahr 2008 wurden dann zahlreiche weitere Waffendepots entdeckt.

"Auch die Akten im Fall eines 2008 in Bayreuth bei einem Schusswechsel mit der Polizei getöteten Mannes, der sich als Bombenbauer entpuppte, sind der Bundesanwaltschaft (im Zuge der NSU-Ermittlungen, Anm.) übergeben, sagt der Bayreuther Oberstaatsanwalt Thomas Janovsky. Im Rucksack des Toten fand man verschlüsselte Pläne, an deren Codes sich Ermittler lange die Zähne ausbissen. Schließlich führten die Pläne zu 38 Waffenlagern in Wäldern in Nordbayern, Sachsen, Thüringen, Brandenburg und Österreich. Die Polizei entdeckte Waffen und Eigenbau-Bomben, darunter eine, die jener glich, die in der Kölner Keupstraße gezündet worden war." [4]

Schon im September 2009 beeilten sich die Bayerischen Ermittler allerdings die bei einem rechtsterroristischen Hintergrund geradezu stereotypisch ausgegebene Formel vom Einzeltäter einmal mehr anzuwenden, ungeachtet vieler offener Fragen in diesem Fall und ihrer offenkundigen Unwahrscheinlichkeit:

"Als Ergebnis der Ermittlungen steht fest, dass das Handeln von Michael K.(rause, Anm.) weder einen politischen noch ein terroristischen Hintergrund hatte. Vielmehr ist bei Krause eine Affinität zu Waffen festzustellen."

Seit Übergabe der Akten an die Bundesanwaltschaft zum Jahresbeginn 2012 ist von dieser unter Verweis auf die laufenden Ermittlungen nichts mehr zu diesem Fall zu erfahren [5], [6].


Interessant im Zusammenhang mit dem Phänomen des Rechtsterrorismus ist weiterhin, dass auch die westdeutschen Geheimdienste ganz wesentlich von altgedienten Nazis aufgebaut und bis in die 1970er Jahre hinein geführt wurden. Dazu berichtete ebenfalls das bereits oben erwähnte "Antifaschistisches Infoblatt" Nr. 14, 1991, wie der Bundesnachrichtendienst und dessen Vorgängerorganisation ab 1946 von Reinhard Gehlen aufgebaut wurde. Gehlen war General der Wehrmacht und als Leiter der Abteilung "Fremde Heere Ost" verantwortlich für die Folterung vieler gefangener Rotarmisten, um aus ihnen Informationen herauszupressen. In "Der Rechte Rand" Nr. 134, 2012, geht es um den Verfassungschutz: "Braune Wurzeln - Zur Gründung des 'Bundesamtes für Verfassungsschutz'".

Die enge Zusammenarbeit von Geheimdiensten und alten und neuen Nazis zieht sich durch die gesamte Geschichte der BRD. Über Fälle aus den 1970er und 1980er Jahren wird z.B. berichtet in "Antifaschistisches Infoblatt" Nr. 26, 1994. Demzufolge warb der Verfassungschutz im Jahr 1973 Werner Gottwald als Informanten an. Durch ihn hatte die Behörde tiefe Einblicke in viele wichtige Nazi-Organisationen dieser Zeit, kannte die wichtigsten Kader und deren Rollen. Gottwald war 1975 führend an der zweiten Gründung der Nachkriegs-NSDAP in Wiesbaden beteiligt, der Geheimdienst war also live dabei. Erst vier Jahre später ging die Polizei gegen die Nazi-Gruppe vor, ein Verfahren wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung wurd eingestellt. An der Faktenkenntnis kann dies nicht gelegen haben. Auch was der Verfassungsschutz der Öffentlichkeit im Jahr 1975 über die Nazi-Szene berichtete, klingt nach wie vor aktuell:

"'Die meisten der neonaz. Gruppen haben grundsätzlich keine organisatorische Struktur.' Die Existenz einer überregional operierenden Nazi-Partei wurde geleugnet." [7]

Im Jahr 1994 machte der Solinger V-Mann Bernd Schmitt Schlagzeilen, denn dieser hatte vielfältige Kontakte zu damals hochrangigen Nazikadern; drei der vier Attentäter von Solingen trainierten in Schmitts Nazi-Kampfsportschule. Schmitt war unter anderem auf die im Jahr 1992 verbotene "Nationalistische Front" (NF) angesetzt. Doch Schmitt und die NF nutzten die Honorare für den weiteren Aufbau der Naziorganisation. Dies erinnert stark an die finanzielle Aufbauhilfe des Thüringer Verfassungschutzes an den "Thüringer Heimatschutz" via V-Mann Tino Brandt. Dazu schrieb die TAZ im Jahr 1994:

"Selbst die im November 1992 verbotene 'Nationalistische Front' (NF), auf die Schmitt angesetzt war, verdankt ihren Aufschwung Mitte der 80er Jahre den finanziellen Zuwendungen aus dem nordrhein-westfälischen Landesamt für Verfassungsschutz. Der V-Mann informierte sofort nach seiner Anwerbung NF-Chef Schönborn. Schönborn nutzte die Chance, sich für veraltete Informationen die Spesen für aufwendige Touren durch die Bundesrepublik oder sogar für die Miete des damaligen NF-Zentrums in Steinhagen aus der Kasse des VS finanzierenzu lassen. Zwanzig Monate dauerte die Zusammenarbeit, obwohl Schmitt von Anfang an klargestellt hatte, er werde keine Informationen liefern, die eine Strafverfolgung seiner Gesinnungsfreunde nach sich ziehen würden. Als der Stern den Fall an die Öffentlichkeit brachte, bezeichnete der damalige Düsseldorfer Verfassungsschutz-Chef Wilfried von Hardenberg die lange Dauer der Zusammenarbeit als unverantwortlich: 'Der müßte als Quelle sofort durchs Raster fallen.'" [8]

Was wir heute im aktuellen Fall über die Rolle des Verfassungsschutz als de facto Aufbauhelfer und Beschützer für organisierte Nazistrukturen sehen, ist also seit Jahrzehnten gängige Praxis.

Nachdem die durch diese Politik und auch stay-behind angekurbelten rechten Terrorwelle der 1970er und 1980er Jahre wieder abgeebbt war, bildeten sich ab Beginn der 1990er Jahre Netzwerke, die an einem neuen Konzept arbeiteten. So bildete das militante "Blood & Honour"-Netzwerk mit "Combat18" eine terroristischen Arm. Eine Art Handbuch für den rechten Terror aus diesem Kreis fand europaweit Verbreitung bei militanten Nazis. Zeitgleich sammelte eine Anzahl (auch deutscher) Nazis Kriegserfahrungen als Söldner in Diensten der postfaschistischen kroatischen HDZ.

Die antifaschistische Fachpresse hatte diese Entwicklungen durchaus im Blick: Geradezu cassandrisch mutet aus heutigem Blickwinkel ein Artikel "Nazis rufen zur Terroroffensive" in "Antifaschistisches Infoblatt" Nr. 30, 1995, an:

"Nach der Bombenkampagne österreichischer Nazis ziehen jetzt die deutschen Organisationen nach und rufen 50 Jahre nach Kriegsende zu einer Terroroffensive auf. Den Startschuss gab ein 'Deutsches Manifest', in dem gedroht wird: 'Ab dem 9. Mai beginnt der Volkskrieg...'".[9]


[1] Wikipedia-Eintrag zum Oktoberfestattentat
[2] "Der Kandidat, die Bombe und der Einzeltäter", Antifaschistisches Infoblatt Nr. 60, 2003

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[3] Wikipedia-Eintrag zu Heinz Lembke
[4] Vergleichsschüsse entlarven Tatwaffen, Freie Presse vom 24.3.2012
[5] Über allen Wipfeln herrscht Ruh', Neues Deutschland vom 17.01.2012
[6] Nachfrage unerwünscht, Neues Deutschland vom 5.3.2012
[7] "Dokumentierte Zusammenarbeit von Verfassungsschutz und Neonazis", Antifaschistisches Infoblatt" Nr. 26, 1994
[8] "Nachrichtenehrlich und zuverlässig"?, TAZ vom 1.8.1994
[9] "Nazis rufen zur Terroroffensive", Antifaschistisches Infoblatt Nr. 30, 1995

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