BeobachterInnen - rechtlicher Status
Lange Zeit war der rechtliche Status für BeobachterInnen polizeilichen Agierens bei Kundgebungen oder Demonstrationen nicht eindeutig. Es gibt kein Gesetz das diese Art bürger- bzw. menschenrechtlichen Engagements als Solches regelt. Auch im Versammlungsgesetz sind Polizei-BeobachterInnen nicht vorgesehen.
Dennoch ist die rechtliche Situation inzwischen eindeutig geklärt: Mehrere Gerichte haben per Urteil weitgehende Rechte für BeobachterInnen festgeschrieben. In Kürze umfassen diese:
- Das Recht auf Polizei-Beobachtung
Das Grundrecht auf Demonstrationsfreiheit steht unter dem Schutz der das polizeiliche Handeln unmittelbar kontrollierenden Öffentlichkeit. Wenn von den beobachtenden Personen keine Störung der Amtsausübung ausgeht, darf die Polizei diese Beobachtung nicht unterbinden, keine Platzverweise aussprechen und ebenso wenig die Personalien der BeobachterInnen feststellen.
Aktenzeichen 4 K 2649/1, Verwaltungsgericht Freiburg, 23.2.2012
Ausführlicher Beitrag: Verwaltungsgericht Freiburg bestätigt Recht auf Polizeibeobachtung - Das Recht auf Dokumentation polizeilichen Handelns
auf Film und Foto sowie deren Veröffentlichung in einer Form, in der die BeamtInnen nicht identifizierbar sind
"Der Einsatz von Polizeibeamten ... stellt im Sinne der einschlägigen Bestimmung des Kunsturhebergesetzes ein zeitgeschichtliches Ereignis dar, von dem Bilder auch ohne Einwilligung der abgelichteten Personen veröffentlicht werden dürfen. Ein berechtigtes Interesse der eingesetzten Beamten kann dem entgegenstehen, wenn die Bilder ohne den erforderlichen Schutz gegen eine Enttarnung der Beamten veröffentlicht werden. Zur Abwendung dieser Gefahr bedarf es aber regelmäßig keines Verbots der Anfertigung von Fotografien, wenn zwischen der Anfertigung der Fotografien und ihrer Veröffentlichung hinreichend Zeit besteht, den Standpunkt der Polizei auf andere, die Pressefreiheit stärker wahrende Weise durchzusetzen." (Zitat aus der Pressemitteilung des Bundesverwaltungsgerichts)
BVerwG 6 C 12.11, Bundesverwaltungsgericht, 28.3 2012
Ausführlicher Beitrag: Fotografierverbot rechtswidrig - ein Polizeieinsatz ist ein "zeitgeschichtliches Ereignis" - Das Recht auf Dokumentation (mutmaßlicher) polizeilicher Gesetzesübertretungen
und der begehenden BeamtInnen zur Beweissicherung und Identifizierung der TäterInnen (Portraitaufnahmen) für zukünftige juristische Auseinandersetzungen und Weitergabe des Film- bzw. Fotomaterials an unmittelbare Opfer der unrechtmäßigen Polizeimaßnahme (oder deren RechtsvertreterIn) sowie an Ermittlungsbehörden (z.B. bei Strafanzeigen gegen polizeiliche TäterInnen)
Aktenzeichen 2 K 373/11 Me, Verwaltungsgericht Meiningen, 13.03.2012
Ausführlicher Beitrag: Angeordnete Bildlöschung und Personalienfeststellung rechtswidrig
Dieses Recht wurde 2015 höchstinstanzlich durch Urteil des Bundesverfassungsgerichts bestätigt (Aktenzeichen 1 BvR 2501/13). Dem Bundesverfassungsgericht zufolge darf die Polizei nicht rein präventiv gegen das Anfertigen von Foto- und Filmaufnahmen ihres Auftretens vorgehen. Dies wäre nur dann erlaubt, wenn „tragfähige Anhaltspunkte“ dafür vorliegen, „dass die Filmaufnahmen der Versammlungsteilnehmer später veröffentlicht werden sollen und nicht anderen Zwecken, etwa der Beweissicherung, dienen.“, teilt das Gericht in seiner Pressemitteilung mit.
Ausführlicher Beitrag: Bundesverfassungsgericht unterstreicht Recht auf Dokumentation von Rechtsverstößen durch die Polizei bei Demonstrationen zu Beweiszwecken
Aufgrund dieser ausgeurteilten Rechtslage hat die Polizei grundsätzlich von der Rechtstreue von BeobachterInnen auszugehen. D.h. gegen BeobachterInnen, die
- Polizeimaßnahmen nicht behindern
- Aufnahmen von PolizeibeamtInnen lediglich in einer Form veröffentlichen, in der die BeamtInnen nicht identifizierbar sind
- Unverpixelte Beweisaufnahmen nur an Polizeiopfer bzw. deren Rechtsbeistand oder Ermittlungsbehörden weitergeben
hat die Polizei rechtlich keine Handhabe. Diese ist auch nicht nötig, denn wenn die Polizei sich an die Gesetze hält, hat sie auch keine juristischen Sanktionen zu befürchten.
Nur wenn einer Person konkret vorgeworfen kann, gegen diese Einschränkungen aktuell zu verstoßen (also eine Polizeimaßnahme tatsächlich zu behindern) oder in der Vergangenheit bereits verstoßen zu haben (also Aufnahmen von PolizistInnen identifizierbar z.B. im Internet veröffentlicht zu haben), können die BeamtInnen geeignete Maßnahmen ergreifen.
OSZE zur Versammlungsfreiheit und unbehinderten Arbeit von Polizei- bzw. Demonstrations-BeobachterInnen
Die Bundesrepublik Deutschland ist Teilnehmerstaat der „Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa” (OSZE). Die Empfehlungen zur Versammlungsfreiheit für OSZE-Mitgliedsländer enthalten auch wichtige Handlungsrichtlinien zum Verhalten der Polizei gegenüber Polizei- bzw. Demonstrations-BeobachterInnen. Diese Empfehlungen beinhalten weitgehende Regelungen für eine unbehinderte Arbeit der BeobachterInnen. Viele OSZE-Teilnehmerstaaten haben die Empfehlungen deutlich besser umgesetzt im Sinne der Versammlungsfreiheit und der Arbeit von BeobachterInnen als die Bundesrepublik.
Die „Demobeobachtung Südwest” hat eine Übersetzung der Empfehlungen vorgelegt sowie eine Zusammenfassung von zehn wichtigen Punkten daraus:
Empfehlungen für OSZE-Mitgliedsländer aus dem ODIHR-Bericht zur Versammlungsfreiheit, vorgestellt am 16.12.2016 in Wien
(ODIHR ist das „Office for Democratic Institutions and Human Rights” - Büro für demokratische Institutionen und Menschenrechte)
Zehn wichtige OSZE-Empfehlungen
Auch wir waren, insbesondere in den vergangenen Jahren, vielfältigen Polizeimaßnahmen ausgesetzt, unsere Arbeit zu behindern oder ganz zu unterbinden. Dies geschieht oftmals in Form von Personalienfeststellungen, (versuchter) Einschüchterung und Unterbindung von Videoaufnahmen, erzwungener Löschung von Videoaufnahmen, Einkesselung, Androhung von Kamerabeschlagnahme, Platzverweisen. Gegen einige davon sind wir juristisch vorgegangen.
Im Folgenden werden wichtige Beispiele der juristischen Auseinandersetzung um den Status und die Rechte von Polizei- und Demobeobachter*innen dokumentiert. Es wird auch aufgezeigt, wie Kreise innerhalb der Polizei mit einem autoritären Verständnis von Staat und Exekutive immer neue Strategien verfolgen, unsere bis hoch zum Bundesverfassungsgericht erstrittenen Rechte wieder auszuhebeln.
Durch die Strafvorschrift des § 201 StGB (Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes) wird ua. diejenige mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bedroht, die unbefugt das nichtöffentlich gesprochene Wort eines anderen auf einen Tonträger aufnimmt. Da bei der Anfertigung eines Handy-Videos in der Regel automatisch die Tonaufnahme mitläuft, kann der Tatbestand des § 201 StGB auch so verwirklicht werden.
Angeordnete Bildlöschung und Personalienfeststellung rechtswidrig
Das Verwaltungsgericht Meiningen stellt mit seinem Urteil fest, dass eine erzwungene Löschung von Fotografien von Polizeibeamten und eine Personalienfeststellung des Fotografen rechtswidrig war.
Fotografierverbot rechtswidrig - ein Polizeieinsatz ist ein "zeitgeschichtliches Ereignis"
Das Urteil bezieht sich zwar unmittelbar auf ein von der Polizei gegen Pressemitarbeiter ausgesprochenes Fotografierverbot, es trifft aber eine Feststellung von wesentlich weiter gehender Bedeutung. Diese betrifft den Bereich des Kunsturhebergesetzes und das Ablichten von Polizeieinsätzen im Allgemeinen - egal durch wen: Ein Polizeieinsatz ist ein "zeitgeschichtliches Ereignis" im Sinne des § 23 KUG.
Die Pressemitteilung des Bundesverwaltungsgerichts vom 28.3 2012:
"Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig hat heute (am 28.3.2012, Anm.) entschieden, dass ein von der Polizei gegenüber Mitarbeitern einer Zeitung ausgesprochenes Verbot rechtswidrig war, Polizeibeamte des Spezialeinsatzkommandos während eines Einsatzes zu fotografieren.
Behinderungen, Personalienfeststellungen, Bedrohungen, Gewalt und Verfahren gegen BeobachterInnen
Bundesweit ist festzustellen, dass sich Polizeikräfte immer wieder Mühe geben, die Arbeit von Bürgerrechtsgruppen, die wie wir Versammlungen und Demonstrationen beobachtend begleiten, unter Bruch geltenden Rechts zu be- und verhindern. Sei es durch angedrohte oder tatsächliche Beschlagnahme von Kameras und Speicherkarten, sei es durch Androhung bzw. Ausführung roher ungesetzlicher Gewalt.
PolizeibeamtInnen sehen es oft nicht gerne, wenn ihr Handeln von unabhängigen BeobachterInnen mitverfolgt wird. Werden sie bei Rechtsverstößen oder gar einer Straftat wie Körperverletzung im Amt gefilmt (was zu Beweiszwecken wichtig ist), ist die Gefahr groß, dass die BeobachterInnen ihrerseits zur Zielscheibe polizeilicher Maßnahmen werden. Schnell wird eine unrechtmäßige Personalienfeststellung durchgeführt, die Löschung von Foto- bzw. Filmmaterial erzwungen und Platzverweise ausgesprochen.
"Das Verwaltungsgericht Freiburg hat jetzt in einem Urteil der Polizei verboten, gegen Beobachter von Polizeieinsätzen vorzugehen. ... Mit dem Urteil des Verwaltungsgerichts Freiburg wird das Grundrecht auf Demonstrationsfreiheit bestätigt und dessen Schutz durch eine das polizeiliche Handeln unmittelbar kontrollierende Öffentlichkeit gestärkt. Polizeiliches Handeln muss öffentlich kontrollierbar bleiben", teilt die Humanistischen Union (HU) am 16.3.2012 in einer Pressemitteilung mit.