Bürger*innen beobachten Polizei und Justiz

header

Immer wieder erreichen uns aus dem ganzen Bundesgebiet Mitteilungen von Opfern individueller Polizeigewalt oder deren Angehörigen. Die Bandbreite dessen, was sie uns erzählen, ist groß. Sie reichen von Untätigkeit bei rassistischen Angriffen bis zur schweren Körperverletzung mit Todesfolge. Beispiele:

  • Der Besitzer eines Wanderzirkus war häufig betroffen von rassistischen Pöbeleien, Bedrohungen und Angriffen. Rief er die Polizei, so ließ diese sich oft erst nach längerer Zeit oder gar nicht blicken. Auch als ein Stein nur knapp sein im Bett schlafendes Kind verfehlte, reagierten die herbeigerufenen Polizisten mit Abwiegeln. 
  • Eine Mutter erzählte uns, wie ihr jugendlicher Sohn auf einem Jahrmarkt festgenommen und anschließend in der Polizeiwache krankenhausreif geschlagen wurde.
  • Einer Frau wurde nach ihrer Festnahme auf der Wache ein Arm gebrochen.
  • Ein Vater berichtete von seinem Sohn, der ebenfalls auf einer Polizeiwache schwer misshandelt wurde. Der auf die Wache herbeigerufene Vater traf dort seinen Sohn in Todesangst an. Nach dieser Misshandlung fühlte sich der Sohn tagelang unwohl, hatte starke Kopfschmerzen. Wenige Wochen darauf starb er plötzlich. Der Vater klagte vergeblich durch alle Instanzen, der Obduktionsbericht wird ihm bis heute vorenthalten.

Das Recherchezentrum correctiv berichtet im Beitrag „Wenn Polizisten prügeln” exemplarisch und zusammenfassend über das erschreckend hohe Außmaß an individueller Polizeigewalt, ebenso über die verschwindend geringe juristische Ahndung dieser Vielzahl an Fällen ungesetzlicher und roher Gewalt.

Leider sind wir nicht in der Lage, den Betroffenen eine individuelle und effektive Unterstützung anbieten zu können. Wir müssen uns in unserer Arbeit auf einige Schwerpunkte konzentrieren, sowohl inhaltlich als auch regional.

Um Menschen, die uns auf der Suche nach Hilfe kontaktieren — denn eine solche existiert fast nirgendwo — nicht gänzlich im Regen stehen lassen zu müssen, möchten wir an dieser Stelle einige Hinweise geben:

  • Als Erstes sollten Betroffene von Polizeigewalt ein Gedächtnisprotokoll schreiben. Diese dienen bei Anzeigen gegen gewalttätige PolizeibeamtInnen dazu, bei eventuell sehr viel später folgenden Prozessen Tathergänge rekonstruieren zu können und einen Überblick über das Ausmaß des Geschehens zu bekommen. Diese Protokolle sind nicht zuletzt für AnwältInnen eine wertvolle Unterstützung ihrer Arbeit. Dafür stellen wir einen Leitfaden zum Herunterladen zur Verfügung.
  • Unabdingbar ist für Betroffene in jedem Fall eine gute anwaltliche Vertretung. Gute AnwältInnen helfen auch bei der schwierigen Abwägung, ob eine Anzeige gegen die straffällig gewordenen BeamtInnen sinnvoll ist. Wir können versuchen, bei der Vermittlung behilflich zu sein.
  • Öffentlichkeitsarbeit ist ebenso wichtig. Es kann durchaus sinnvoll sein, sich an die Medien, vornehmlich die Lokalpresse, wo diese für solche Themen ansprechbar ist, zu wenden.
  • Die Stiftung Victim Veto gibt konkrete Tipps für Betroffene, dokumentiert und berichtet Fälle auf ihrer facebookseite und ihrem youtube-Kanal.
  • Die Initiative COPSERVATION bietet auf ihrer Unterseite „Hilfe für Betroffene“ eine nach Bundesländern sortierte Übersicht diverser Organisationen.
  • Betroffene in Niedersachsen haben die Möglichkeit, sich an die „Beschwerdestelle für Bürgerinnen und Bürger und Polizei” zu wenden.
  • Die Wochenzeitung „Die Zeit” sammelt in einem Online-Dossier persönliche Erfahrungsberichte über Polizeigewalt.
  • Amnesty International hat die Einzelfallrecherche zum Thema Polizeigewalt in Deutschland eingestellt, führt aber ein Monitoring durch. Das bedeutet: Amnesty International sammelt und dokumentiert Informationen über rechtswidrige Polizeigewalt in Deutschland. Betroffene von Polizeigewalt können dafür in einem Online-Formular (auf der verlinkten Seite) über ihre Erfahrungen berichten. Dort kann auch ein „Opferhilfe Merkblatt“ heruntergeladen werden.
  • Amnesty International schreibt auf der bereits älteren Internetseite zur (ausgelaufenen) Kampagne gegen Polizeigewalt: „Unsere Einzelfallarbeit beschränkt sich in Deutschland aufgrund unserer begrenzten Ressourcen jedoch lediglich auf die Dokumentation von Fällen, in denen Personen Opfer von besonders schwerwiegenden gewalttätigen Übergriffen durch deutsche Polizeibeamte und Polizeibeamtinnen wurden”, so Amnesty International. Ein „Merkblatt für Opfer rechtswidriger Polizeigewalt” kann dort heruntergeladen werden.


Wir ziehen aus diesen an uns herangetragenen individuellen Fällen von Polizeigewalt das eindeutige Fazit:

Auch diese Fälle und deren fehlende Aufarbeitung belegen immer wieder auf erschütternde Weise, dass es an wirkungsvollen Instrumentarien zur Verfolgung solcher schweren Straftaten im Amt mangelt. Eine Aufklärung von Polizeigewalt, sei sie aus welchen vermeintlichen Gründen auch immer gegen einzelne Menschen gerichtet oder sei sie als politisches Repressionsmittel ausgeübt, kann nicht zuverlässig innerhalb des Polizeiapparats stattfinden. Warum das so ist, hat Rafael Behr, 15 Jahre Polizeibeamter und heute Professor an der Hochschule der Polizei in Hamburg, nochmals anschaulich dargelegt - siehe unser Beitrag „Innere Psychologie auf der Wache und im Einsatz”.

Wie viele andere Bürgerrechtsgruppen fordern deshalb auch wir eine individuelle Kennzeichnung von Polizeibeamtinnen und -beamten und von der Polizei unabhängige Beschwerdestellen für Betroffene von Polizeigewalt. Kriterien für solche Kontrollinstanzen wurden gemeinsam erarbeitet von Amnesty International, der Humanistischen Union, der Internationalen Liga für Menschenrechte, dem Komitee für Grundrechte und Demokratie und dem Republikanischen Anwältinnen- und Anwälteverein.

Und vor allem fordern wir: Ungesetzliche Polizeigewalt muss Konsequenzen haben!